Wir wissen nicht genau, ob die Bundeskanzlerin ein Referendum der Griechen über den Verbleib im Euroraum vorgeschlagen hat. Sie bestreitet das, andere behaupten es. Finanzminister Schäuble bestreitet hingegen nicht, dass er anlässlich der Neuwahlen in Griechenland gemahnt hat, den Menschen dort dürften keine falschen Versprechen gemacht werden. Statt dessen sei ihnen die schmerzliche Realität zu vermitteln.
Bemerkenswert daran ist, dass nur noch über die Aussage gestritten wird, während das Faktum, dass eine deutsche Kanzlerin eine Abstimmung der griechischen Bevölkerung vorschlägt und dass ein deutscher Finanzminister über die Wahlkampfrhetorik in Griechenland urteilt, kaum mehr irritierend erscheint. Insofern kommt man nicht umhin, festzustellen, dass die Banken-, Finanz- und Währungskrise Europa (unfreiwillig) einen Integrationsschub versetzt. Der „Staatenverbund“ (Bundesverfassungsgericht) „Europäische Union“ sollte zwar immer mehr sein als ein Staatenbund, aber bisher eben auch weniger als ein Bundesstaat. Über Wahlprogramme und Wählerpräferenzen in einem anderen Land zu urteilen, war daher bis dato in der politischen Diskussion auf europäischer Ebene tabu.
Dies gilt nun offenbar nicht mehr, zumindest nicht in der Finanzpolitik. Regierungen bekommen inzwischen in Brüssel von anderen Regierungen mitgeteilt, wie sie „richtig“ vorzugehen haben und was sie ihren Bevölkerungen mitteilen sollten. Zweifellos gibt es gute, ja zwingende Gründe dafür, unter dem Dach einer gemeinsamen Währung auch eine gemeinsame Finanz- und Währungspolitik zu verfolgen. Ebenso gute Gründe gibt es jedoch dafür, die Akzeptanz für das (freie) Gebilde Europa nicht zu verspielen.
In diesem Sinne ist es geboten, klare Entscheidungen über weitere Aufgaben und Rechte der Europäischen Union zu suchen und diese dann in den Parlamenten oder als Plebiszit zur Abstimmung zu stellen. Die Sprengkraft einer Kompetenzerweiterung im Namen anonymer Notwendigkeiten ist jedenfalls nicht zu unterschätzen.
Dr. Benjamin Teutmeyer