Die Hiobsbotschaften beim Branchenprimus nehmen kein Ende: Schlechte Quartalszahlen, die unrühmliche Kandidatensuche im Rahmen der Ackermann-Nachfolge, drohende Rückstellungen für die Folgen juristischer Streitereien und strukturelle Probleme in der früheren Vorzeigesparte des Investmentbankings. Nach den zahlreichen rechtlichen Auseinandersetzungen infolge des Zusammenbruchs der Kirch-Gruppe, nach dem zweifelhaften Engagement auf dem US-Immobilienmarkt („Mortgage IT“) und nach dem Bekanntwerden fragwürdiger Geschäfte mit Kommunen sieht das Frankfurter Institut mit seiner neuen Doppelspitze nun einem weiteren Prozessmarathon entgegen. Jahrelang sollen Mitarbeiter aus der Investmentsparte regelmäßig daran beteiligt gewesen sein, den Libor-Zinssatz zu manipulieren, um den Derivate-Handel im eigenen Interesse zu beeinflussen. Dass dies offenkundig allgemeine Praxis in den großen Häusern Europas war, entschuldigt nichts. Entscheidend sind die Motive. Hier ging es um Gewinnmaximierung mit unzulässigen Mitteln. Dabei spielt der Umstand keine Rolle, dass ein krankes Incentive-System mit falschen Anreizen für die Ausschüttung exorbitanter Boni solche Machenschaften hervorbringt.
Chef der Londoner Truppe im besagten Zeitraum war Anshu Jain, der aufgrund seiner Meriten nun an der Spitze des Geldhauses steht. Ob ihm die Ungereimtheiten rund um die getürkten Zinssätze wirklich verborgen geblieben waren, wird derzeit geprüft. Doch selbst, wenn er unwissend oder gar ahnungslos gewesen sein sollte, was sowohl als auch ebenfalls ein Unding wäre: Es war sein Beritt. „Nach allem, was man lesen und hören kann“, wie Rolf Breuer formulieren würde, währte die unlautere Praxis sage und schreibe vier Jahre lang, so dass von Nachlässigkeit nicht zu reden ist. Es gibt ein persönliches Verantwortungsprinzip, nicht nur in der Politik. Bleibt zu hoffen, dass Paul Achleitner, der neue Vorsitzende des Aufsichtsrats, die gebotenen Fragen stellt und die zu erwartenden Antworten sanktioniert. Als ehemaliger Siemens-Vorstand ist er ein gebranntes Kind, was wirksame Maßnahmen zur Wiedergewinnung verloren gegangener Reputation betrifft.
„Kein Geschäft ist es wert, den guten Ruf und die Glaubwürdigkeit der Bank aufs Spiel zu setzen.“ Dieses Credo von Josef Ackermann darf belächelt werden. Ein Lippenbekenntnis, mit dem sich die Frankfurter da kostenträchtig blamieren. Die Boni jedenfalls sind längst gezogen. Die Zeche zahlt der Aktionär. Ein Kurs knapp über dem Allzeittief preist die drohenden Rückstellungen ein. Auch die Börse hat bis auf Weiteres ihr Urteil gefällt.
Johann Oettinger M.A.