Ärzte leiden nicht eben unter Niedriglöhnen. Von der Diskussion darüber, ob eine staatlich verordnete Untergrenze ein zulässiger Markteingriff ist, sind sie nicht betroffen. Ihre Honorare bilden sich jedoch auch nicht im klassischen Sinne am Markt, nicht durch Angebot und Nachfrage und nicht im Wege von Tarifverhandlungen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern.
Die Schwierigkeit liegt in der Natur ihrer „Dienstleistung“: Die einen sprechen von Gesundheitsökonomie, die anderen vom Gesundheitswesen. Für die einen ist die medizinische Betreuung in Deutschland Teil der staatlich garantierten Daseinsfürsorge und damit jedem Wettbewerb entzogen, für die anderen ist sie ein stark nachgefragtes Gut, dessen Darbietung große Qualifikation erfordert und dementsprechend teuer sein muss. Der deutsche Gesetzgeber hat diesbezüglich entschieden, sich nicht zu entscheiden. So koexistieren etwa die gesetzliche Krankenversicherungspflicht und die nach oben unbegrenzten Optionen privater Zusatzversicherung. Der wirtschaftliche Erfolg einer privaten Praxis hängt zwar mit dem Aufkommen ihrer „Kunden“ zusammen, doch der Zuspruch bleibt ohne Relevanz für die Preise, was manche Patienten naturgemäß auch ausschließen würde. Der politische Zwitter dieses Systems ist eben beides: Wirtschaftszweig und Grundleistung von Vater Staat.
Insofern wirkt es auch etwas hilflos, wenn Ärzte streiken, da Leistung und Entlohnung in keiner direkten Beziehung zueinander stehen: Die Mediziner können den Kranken zwar ihr Know-how vorenthalten, aber nicht denen, die sie finanzieren, nämlich den Krankenkassen. Diejenigen aber, die in der (gesetzlich verordneten) Geschäftsbeziehung zu den Krankenkassen stehen, und die mittelbar für die Ausschüttung der Honorare an die Ärzte sorgen, die Patienten, sind zwar mit verschlossenen Wartezimmern konfrontiert, werden in der Frage der fairen Gehaltsermittlung aber gar nicht gehört.
Solange also die Gesundheitsversorgung in Deutschland nicht zu einer entweder von Beamten zu erbringenden hoheitlichen Aufgabe oder zu einer Leistung am freien Markt erklärt wird, werden wir merkwürdig anmutende Arbeitskämpfe erleben, die das Ziel haben, eine öffentliche Auseinandersetzung anzustoßen, an der sich jedermann beteiligen und die „irgendwie“ zu einer Stimmungslage führt, die neue Honorare hervorbringen kann. Als Preis dafür, Medizin für jedermann zugänglich zu halten ohne den wettbewerbsinduzierten Fortschritt in derselben ganz zu opfern, ist ein wenig Merkwürdigkeit freilich angemessen. Systemische Zwitter haben halt ihre eigene Identität.
Dr. Benjamin Teutmeyer