Die sogenannte SPIEGEL-Affäre jährt sich dieser Tage zum fünfzigsten Mal. Im Oktober 1962 erschien ein Artikel des damaligen stellvertretenden Chefredakteurs Conrad Ahlers unter dem Titel „Bedingt abwehrbereit“, der die Verteidigungsfähigkeit der Bundeswehr bei einem Angriff des Warschauer Pakts unter Berufung auf geheime Dokumente im Zusammenhang mit dem Nato-Manöver „Fallex 62“ infrage stellte. Daraufhin wurde ein Ermittlungsverfahren wegen Landesverrats eingeleitet, wobei Haftbefehle gegen den Herausgeber Rudolf Augstein und SPIEGEL-Redakteure ergingen. Autor Ahlers wurde auf Betreiben des damaligen Verteidigungsministers Franz Josef Strauß zusammen mit seiner Frau im Urlaub in Spanien von der örtlichen Polizei verhaftet.
Durch die Bundesrepublik ging ein Sturm der Entrüstung. Das Vorgehen gegen den SPIEGEL wurde als Angriff auf die Pressefreiheit interpretiert. Die Affäre weitete sich zu einer handfesten Regierungskrise aus, in deren Verlauf die christlich-liberale Koalition zerbrach und Verteidigungsminister Strauß seinen Posten auf der Hardthöhe räumen musste, weil das CSU-Schwergewicht das Parlament belogen und zunächst jede Verantwortung für die Verhaftung von Ahlers bestritten hatte. Das Verfahren gegen den SPIEGEL wurde schließlich eingestellt, Augstein und die Redakteure freigelassen. Geheimnis- und Landesverrat konnte nicht nachgewiesen werden.
Das Gesamtereignis war eine gelungene Bewährungsprobe für das Demokratieverständnis der damals noch jungen Bundesrepublik. Dass heute ein Minister an der Justiz vorbei einen Journalisten verhaften (können) lassen würde, ist nicht vorstellbar. Dass aber Politiker immer wieder versuchen, entgegen anderslautender öffentlicher Beteuerung, Einfluss auf die Berichterstattung von Medien zu nehmen, ist heute, da die Halbwertzeit mancher Nachricht in Sekunden gemessen wird, aktueller denn je. Das prominenteste Beispiel der jüngsten Vergangenheit lieferte Christian Wulff, der durch eine eher peinliche Intervention bei Bild-Chefredakteur Kai Diekmann die Veröffentlichung eines Artikels in Deutschlands Boulevardblatt Nummer eins stoppen wollte.
Wer geglaubt hatte, dieser Fall hätte diesbezüglich abgeschreckt, sieht sich nun eines Besseren belehrt. Ein Jahr vor der bayerischen Landtagswahl ließ es sich CSU-Pressesprecher Strepp offenbar nicht nehmen, in der „heute“-Redaktion des ZDF anzurufen, um die Ausstrahlung eines Berichts über die Nominierung von Christian Ude als SPD-Spitzenkandidat für das Amt des bayerischen Ministerpräsidenten zu verhindern. Stellt sich die Frage, ob hier ein übereifriger Mitarbeiter seinen obersten Dienstherrn aus falsch verstandenem Pflichtbewusstsein schützen wollte, oder ob er von „höherer Stelle“ veranlasst wurde und nun als Bauernopfer geht? Die Frage wird vermutlich in den nächsten Tagen beantwortet, zumindest, soweit sie zu klären sein wird.
Bei aller Aufgeregtheit sollte die Kirche im Dorf bleiben. Die „Causa Strepp“ ist keine SPIEGEL-Affäre und mitnichten eine Bedrohung der Pressefreiheit. Freuen darf sich allerdings die bayerische SPD. Für sie ist die mediale Nachbereitung des Vorgangs wie ein unverhofftes Geschenk. Spätestens seit den Wahlkämpfen von Bill Clinton und Tony Blair aber sind uns die „Spin doctors“ bekannt, die als Image- und PR-Berater ständig versuchen, Medien zu instrumentalisieren und der Berichterstattung einen „Dreh“ in die gewünschte Richtung zu geben. Warum also ist dann ausgerechnet die Initiative von Herrn Strepp so außergewöhnlich, dass der betroffene Sender wiederholt und detailliert darüber berichtet? Vielleicht ist der ganze Akt ja nur deshalb so brisant, weil das ZDF ein durch und durch politisiertes Medium ist, in dessen Verwaltungsrat auch zwei SPD-Ministerpräsidenten sitzen? Eine Rundfunkanstalt jedenfalls, die von Politikern begründet wurde, kontrolliert und verwaltet wird, sollte solche Einflussversuche kennen und den Einzelfall lieber in einen größeren Kontext stellen. Interessant könnte doch sein, wer sich sonst noch so alles und mit welchen Ambitionen bei den Mainzern meldet.
Carsten Becher M.A.