Alle Jahre wieder, wenn der erste Schnee fällt, ruckelt es bei der Deutschen Bahn: Züge fahren „auf unbestimmte Zeit“ verspätet, werden ersatzlos gestrichen oder halten „witterungsbedingt“ ohne Erklärung endlos auf offener Strecke. Die Berufspendler, die auf die Bahn angewiesen sind, quetschen sich in notorisch überfüllte Waggons, in denen die Heizung streikt und Zugbegleiter nur selten gesehen werden. Ein weiteres Ärgernis für viele Reisende sind die turnusmäßigen Fahrplanwechsel, bei denen in der Regel auch die Preise angehoben werden, zuletzt um 2,8 %. Das klingt nur moderat. Betrachtet man die langfristige Entwicklung, zeigt sich, dass die Preise im Personenverkehr auf der Schiene in den letzten zehn Jahren, bei einer kumulierten Inflationsrate von gut 16 %, um 35 % gestiegen sind. Auch die gebetsmühlenartig wiederholte Begründung für die Preissteigerungen – höhere Energiekosten – verfängt nicht. Vor allem dann nicht, wenn 2012 ein Rekordgewinn von gut 2,7 Mrd. Euro verbucht wird.
Zu teuer, schlechter Service, Unpünktlichkeit: über den Zustand vieler Kleinstadtbahnhöfe wäre auch zu sprechen. Fakt ist, dass der Überschuss hauptsächlich im Personenverkehr erwirtschaftet wird, während der Güterbereich schwächelt. Vielleicht der Hauptgrund für die Ticketpolitik. Immerhin hat die Bahn 2012 mehr Fahrgäste als jemals zuvor transportiert, im ersten Halbjahr über eine Milliarde Menschen. Und sie hat die Mammutaufgabe, ein Schienennetz von über 33.000 Kilometern instandzuhalten und eine Vorreiterrolle in der Energiewende zu spielen.
Fakt ist auch, dass die Bahn ihren Nutzern Vorteile gegenüber anderen Verkehrsmitteln bietet, zumal ökologische. So blickt die Bahn in der Elektromobilität bereits auf über hundert Jahre Erfahrung zurück, während die Automobilindustrie diesbezüglich noch in den Kinderschuhen steckt. Außerdem ist der Verkehrsträger, zumindest auf Langstrecken in Deutschland, fast immer günstiger als seine Wettbewerber. In diesem Sinne hat eine Studie des Verkehrsclubs Deutschland unlängst den „Mythos Billigflieger“ widerlegt: Bahnkunden zahlen auf den zehn Strecken mit der höchsten Fluggastzahl in 92 % der Fälle weniger als bei der jeweils günstigsten Airline. Die Kernreisezeit ist bei Flügen zwar deutlich kürzer, dafür muss man aber nicht schon anderthalb Stunden vor Abfahrt am Bahnhof sein und sich einer Sicherheitsuntersuchung unterziehen. Es reicht, kurz vor Abfahrt in den Zug zu steigen.
In der Theorie hat die Bahn also starke Argumente, sich als umweltbewusster, leistungsstarker Anbieter darzustellen. In der Realität hat sie ein massives Imageproblem. Trotz der eindrucksvollen Kennzahlen verbinden viele Kunden zumeist negative Merkmale mit dem Unternehmen. Dies zu ändern, wird schwierig sein. Eine Sisyphosaufgabe.Denn der nächste Winter kommt bestimmt.
Dirk Lichte M.A.