Die Jugend der Welt ist wieder daheim. Große Teile der deutschen Mannschaft liefen luxuriös auf der „MS Deutschland“ in Hamburg ein, um von euphorisierten Fans begrüßt zu werden. Zuvor soll es an Bord eine „wilde Abschlussparty“ gegeben haben. Ja, was denn sonst, wenn doch schon die Abschlussfeier in London insbesondere Partycharakter hatte? Vergnügung als Zweckentfremdung eines historisch von einem gewissen Pierre de Coubertin einst ganz anders begründeten Zwecks. Der tiefere Sinn der Übung wird als Ausgelassenheit gelebt. Dies nur eine der vielen Irritationen. Was also sollte sein, was war und was bleibt?
Zunächst einmal war uns wie stets vor solchen Ereignissen unbändiges Chaos angekündigt worden, mit unbezahlbaren Übernachtungspreisen, Verkehrsinfarkt und Sicherheitsproblemen im Rahmenprogramm. Die britische Metropole schien nicht wirklich ein Ort „to go“. Im Nachhinein war nun angeblich nichts von alledem. Zudem mussten wackere Journalisten unser Innenministerium eilig auf dem Klageweg zwingen, seine erstaunlichen Medaillenplanungen mit den Sportverbänden publik zu machen. Das bekannt gewordene Missverhältnis von „Soll“ und „Ist“ in Gold, Silber, Bronze spricht gegen eine realitätsnahe Mittelverwendung, auch wenn dies keinen der Verantwortlichen feststellbar stört. Überhaupt sind mehr Fragen zu stellen an die Ziele, an die Methoden und an die handelnden Menschen als gegebene Auskünfte zu teilen.
Der naive Impetus, Amateure aller Nationen würden um der Sache selbst Willen in fairem Wettstreit ihre Besten in den Körperertüchtigungsdisziplinen ermitteln, ist Fiktion. Vollprofis beider Geschlechter, die ihre Spezialbegabungen knallhart optimieren (lassen), dominieren das Geschäft. Tatsächlich hat man es in der scheinbaren Unschuld kurzer Hosen und luftiger Leibchen einerseits mit einem durchkalkulierten Muskelspiel von Macht und Märkten zu tun, das unter dem hehren Vorwand der Völkerverständigung nationalpolitischen und kommerziellen Interessen dient, andererseits begegnen die notorischen Verlierer aus den vielen sportmediokren Ländern, die Minidelegationen der Habenichtse und der Exoten unseres Planeten in rührendem Kontrast. Für sie mag das Dabeigewesensein im Vorkampf unfreiwillig altmodisch noch etwas sein, nur was und mit welchem Gewinn? Die „Top ten“ im Siegerranking, lauter Industrienationen und ein maßloses Schwellenland auf Platz zwei, heimsten mit Mannschaften und Tross in Batallionsstärke über die Hälfte aller Auszeichnungen ein. Eine Bestätigung der realen Saldosituation auf dem Globus. Viel kann offenbar doch viel, wenn die finanziellen Dimensionen stimmen und wenn die Hemmungen, sich aller verfügbaren Hilfen zu bedienen, kapitalismuskonform ad acta gelegt worden sind. Vom Heimvorteil gar nicht zu reden. Der normalerweise unvorstellbare Erfolg des Gastgeberlandes, der sich einem generalstabsmäßigen mittelfristigen Masterplan verdankt, belegt dies beispielhaft.
Das Mammutturnier hat im Übrigen wieder deutsche Athleten (Trainer und Funktionäre) gezeigt, die das Ausbleiben ihrer Spitzenleistungen ohne zu zucken weggelächelt haben. Sie seien durchaus mit sich selbst zufrieden, war häufiger im Analyseangebot. So sei das nun mal. Eine hoch gewettete bundesrepublikanische Schwimmerin strahlte nach Sekundenrückstand gar: Die Schnellsten seien jetzt halt schneller als sie. Ja, wohl wahr, aber nicht adäquat. Der Wille zum Erfolg sowie das Bewusstsein der eigenen Rolle waren bisweilen so schwach wie das Resultat. Wichtiger als Ruhm und Ehre scheinen Prämien, Sponsoring und gut dotierte Werbeverträge geworden zu sein. Statt für Deutschland selbstverständlich erst mal für mich selbst. Wenn Berufung zum Beruf wird, beginnt die Karriere, den Charakter zu prägen. Zum Schluss noch ein Wort zu dem Mann, der die ewig junge Idee des IOC auf die Bretter der Welt rocken soll: Der Belgier Jacques Rogge trat weder moralische Maßstäbe setzend noch mitreißend auf, sondern mumienhaft wie ein Murmeltier. Ein seltsam lebloser Botschafter seiner swingenden Marke. Das Highlight der 17 Tage an der Themse bestand für ihn darin, zwei Damen aus Saudi-Arabien Starternummern angeheftet zu haben. So stolz darf man also heute als Ausrichter eines zum Event mutierten ehrwürdigen Ereignisses noch sein.
Dr. Reinhard Nenzel