Der Vorsitzende der CDU-Mittelstandsvereinigung, Josef Schlarmann, nutzte das Aufmerksamkeitsfenster für „kleine“ Scharmützel zum Ende des medialen Sommerlochs, um die Lebendigkeit seiner Partei darzustellen und holte zu einer Attacke gegen Angela Merkel aus: Sie oktroyiere der CDU ihren Kurs auf, Diskussionen gebe es nicht. Es gehe zu „wie am Zarenhof“, sagte er der Süddeutschen Zeitung. Nun ja. Da scheinen doch die Unterschiede zu überwiegen. Die Publizistin Gertrud Höhler fuhr am Wochenende den unterhaltsamen Affront auf, die Kanzlerin betreibe „autoritären Sozialismus“.Solcher Unmut ist systemwidrig. In Deutschlands „Kanzlerdemokratie“ ist die Führungsfunktion des Mannes oder der Frau im Chefsessel des Kabinetts vorgesehen, grundgesetzlich garantiert und prozessual eingeübt, auch gegenüber der tragenden politischen Gruppierung. Frühere Kanzler stellten ihre Herrschaftsgesten unterschiedlich dar. Frau Merkel zeigt hier nicht den kräftigsten Durchsetzungswillen. Die starke Position ist also gewollt. Sie trägt zur Stabilität der Exekutive bei.
Gleichwohl ist diese Machtausstattung nicht ohne Alternative. Änderungen sind, parlamentarische Mehrheiten vorausgesetzt, jederzeit möglich. Und natürlich ist es auch unter den jetzigen Bedingungen erlaubt, die Regierungschefin verbal anzugehen. Bizarr mutet an, dies in einer Demokratie zu betonen, wie dies die sich selbst rechtfertigenden Kritiker tun. Nur ist die Schelte in der Sache ohne Effekt. Die politischen Strukturen bewirken, dass die Kanzlerin öffentlich artikulierte Unzufriedenheit mit ihrer Auffassung von Autorität (außer in Wahlkampfzeiten) weitgehend ignorieren kann.
Daher gilt das Prinzip „stützen oder stürzen“: Werden die Differenzen zwischen einer Partei und der von ihr ermöglichten Nummer drei im Staat zu groß, können die opponierenden Gefolgsleute in ihrer Bundestagsfraktion für die Ablehnung von Gesetzesvorhaben werben oder Gesetze zur Abstimmung stellen, die ihren Vorstellungen entsprechen. Sind die Differenzen grundsätzlicher Natur, bleibt ihnen der ultimative Weg des konstruktiven Misstrauensvotums, um einen ihnen genehmeren Repräsentanten ihrer Auffassungen zu implementieren. Der hierdurch entstehende Imageverlust in Anbetracht der offensichtlichen Zerrissenheit der Partei ist dann in Kauf zu nehmen. Voraussetzung für einen so gravierenden Schritt ist die Einigung auf einen neuen, nachfolgefähigen Kandidaten. Der Unmut über die Amtsinhaberin müsste dementsprechend anhaltend hoch, ja fast ausufernd sein, was nicht der Fall ist. Auch hier achtet unser politisches System auf die Stabilität der Regierung.
So bleibt Josef Schlarmann und anderen nur, mit der inkriminierten Dominanz der Bundeskanzlerin zu leben. Für die Blockade ihrer Politik oder gar für ihre Abwahl reichen die Unmutsäußerungen nicht. Immerhin mag ihm seine Ranküne einige Wählerstimmen in eigener Sache sichern. Gemessen am mutmaßlichen Verlust der Gunst der „Grande Dame“ der deutschen Politik ein bescheidenes Ziel. Ach so, und Frau Höhler: Sie verkauft gerade ein neues Buch mit dem interessanten Titel „Die Patin“.
Dr. Benjamin Teutmeyer